Text ++ 2003 Wohnzimmer
Betrachtungen zum Wohnzimmer
Von Anja Osswald
DÜSSELDORF.
In einer Regalwand im Wohnzimmer des Hauses Dagobertstraße 2 im Düsseldorfer
Stadtteil Bilk steht eine Urne. Sie ist leer. Die diene der Öffentlichkeitsarbeit,
sagt Bernd Bruns, der das bronzene Gefäß gern zum Fotografieren präsentiert.
Sie gilt auch als Anschauungsobjekt für ein Anliegen, das Bruns seit Monaten
mit vollem Einsatz betreibt: Der 52jährige Elektrotechniker, Inhaber einer
Handwerker-Notrufleitstelle, will mittels Justiz erreichen, daß die Asche von
Toten nicht mehr nur auf Friedhöfen, sondern auch in Privaträumen, im
Blumenbeet oder unter einem Rasen aufbewahrt werden kann. Sein persönliches
Argument: "Ich sehe nicht ein, daß der Staat meine Asche
reglementiert."
Die
obenstehende Pressenotiz aus der "Rheinischen Post" vom 19.6. 1998
sagt nicht nur etwas über den Umgang mit dem Tod in unserer Kultur aus. Im
staatlichen Verbot, die Asche Verstorbener in privaten Wohnräumen aufzubewahren, kommt auch eine das soziale
Miteinander regulierende Trennung von privat und öffentlich zum Ausdruck. Bei
diesen Grenzziehungen spielte das bürgerliche Wohnzimmer schon immer eine
besondere Rolle. In der gehobenen bürgerlichen Mittelschicht erfüllte es bis in
die Mitte des 20. Jahrhunderts als Empfangsraum von Gästen und als Salon
repräsentative Funktionen. Ausgestattet mit Statussymbolen wie kostbaren
Möbeln, Stoffen und Wandschmuck galt es als Glanzstück des geselligen Heims,
als Stolz von Hausfrau und Hausherrn gleichermaßen. In einer Verschränkung der
Sphären des Privaten und des Öffentlichen war das bürgerliche Wohnzimmer so
etwas wie ein Öffentlichwerden des Privaten, eine nach außen gestülpte
Innerlichkeit. - Es mag daran liegen, dass uns heute beim Anblick alter Fotos
von Wohnzimmer-Interieurs oftmals eine gewisse Beklemmung befällt. So als ob
der verblichene Glanz dieser Fotos etwas von der Intimität preisgeben würde,
den das wohl austarierte Arrangement der Einrichtungsgegenstände zu vermeiden
suchte.
Heute
wird mit dem privat-intimen Charakter offensiver umgegangen. Wohnzimmer sind in
erster Linie Orte der Behaglichkeit, in denen man hemdsärmelig biertrinkend und
mit den Füssen auf dem Tisch vor dem Fernseher sitzt und hemmungslos
"privat" sein kann. Und dennoch ist auch den Wohnzimmern der
Ikea-Generation eine Raumgrammatik eigen, die das Wohnzimmer als solches
erkennbar hält. Sitzgruppe, Bücherregale, Wandschmuck und andere Details
dokumentieren nicht nur die individuellen Vorlieben der Bewohner, sondern
erfüllen darüber hinaus einen repräsentativen Anspruch. Die meisten Menschen
räumen auch heute noch ihr Wohnzimmer auf, wenn Gäste ins Haus stehen. Die
privat-intimen Spuren werden beseitigt, um den Raum "offiziell"
zugänglich zu machen - eine Bereinigung im Dienste des common sense.
Während
das großbürgerliche Interieur ein beliebter Gegenstand der Genremalerei des
19.Jahrhunderts gewesen ist, entdeckte spätestens die Pop Art die Hybris des
Wohnzimmers zwischen bürgerlicher Kleingeisterei und modernem Individualismus.
Richard Hamilton kombinierte die typischen Accessoires moderner Wohnkultur in
seiner Collage Just what is it that makes today's homes so different, so
appealing? (1956) zum Zeit-Bild mit Fernseher und Muskelmann. Spätere
Pop-Artisten wie Roy Lichtenstein oder auch Edward Kienholz erweiterten die
Auseinandersetzung um die räumliche Dimension. Mit "echten"
Requisiten wurde das Wohnzimmer als eine Art Bühnenarchitektur nachgebaut, in
der sich der Betrachter zwar bewegen, aber die er nicht "bewohnen"
konnte. So wurde das künstliche Wohnzimmer zur imaginären Projektionsfläche,
das räumliche Arrangement zur Kulisse, vor der die je individuellen
Assoziationen des Rezipienten ihren Lauf nehmen konnten. Wo Lichtensteins
Kulissenarchitektur vor allem ästhetisch funktioniert und als in den Raum
ausgreifende Schichtung von Oberflächen eine fast ornamentale Wirkung besitzt,
ist der Wohnraum bei Kienholz mit abgewetzten Möbelstücken, schummeriger
Beleuchtung und diversen Schießvorrichtungen immer auch Geburtsstätte von
Gewalt und Bedrohung. Seine Arrangements kreieren eine fast alptraumhafte
Stimmung.
In den
kommerziellen Bildwelten der Massenmedien wiederum bildet das Wohnzimmer eine
beliebte Kulisse für die idealtypische Präsentation der Kleinfamilie oder von
jung-dynamischen Single-Haushalten. Die Werbepausen im Fernsehen sind voll von
geschmackvoll eingerichteten, sonnendurchfluteten Interieurs, in denen Kaffee
getrunken, Schokolade genascht oder ein cremig gerührter Joghurt gelöffelt wird
- suggeriert wird ein sorgenfreies, behagliches und wohlgeordnetes Leben in
perfekt gestylten Wohnlandschaften. Wie man sich einrichtet, so lebt man lautet
die message dieser Lifestyle-Bilder, in denen die Seinsfrage auf das Problem
der Wahl des jeweils richtigen Konsumprodukts zusammenschrumpft.
Die
Ausstellung "Wohnzimmer" des Kunstvereins "Alte Schule
Baruth" ist denkbar weit entfernt von diesen Lifestyle-Bildern der
Konsumindustrie. Sie setzt sich aber auch ab von der Oberflächenästhetik
popkultureller Arrangements. Vielmehr wurde das Thema "Wohnzimmer"
für die insgesamt 28 beteiligten Künstler und Künstlerinnen zum Ausgangspunkt
einer individuellen Spurensuche, die von ikonographischen und kulturellen
Mustern ausgehend in die geheimen Winkel und verborgenen Refugien des Wohnens
vordringt. Die Vorgabe war ebenso einfach wie überzeugend: Jede/r der
beteiligten Künstler/innen sollte den eigenen Assoziationen zum Thema
Wohnzimmer nachgehen. Die dabei entstandenen Beiträge wurden im
Ausstellungsraum der Alten Schule arrangiert.
Schon
die institutionelle Vorgabe brachte es mit sich, dass die Kategorien von privat
und öffentlich hier anders funktionieren als in einem privaten Wohnraum. Der
Ausstellungsraum ist per Definition ein öffentlich zugänglicher Ort, sein
"Mobiliar" ist Kunst und besitzt bei aller Privatheit der
Inszenierung öffentlichen Charakter. So bilden die ausgestellten Bilder,
Objekte und Installationen ein fiktives Wohnzimmer, eine Art Wohn-Collage mit
Sitzgruppe, Kaminecke, Herrgottswinkel, Nippesnische und Bücherregalen.
Das
eigentlich Interessante der Ausstellung besteht jedoch darin, dass sich die
Künstler mit ihren Arbeiten an Schichten unterhalb des Sichtbaren vorgewagt
haben. In diesem Sinne als "Stimmungsbild" präsentiert Ulrich Jansen
seine "Paartanzbar", die mit zwei an der Decke aufgehängten
Kopfhörern zum Zweitertanz animiert. Archaische Anklänge evoziert Heinrich
Weids Tafelservice mit Baumscheibenmuster: eine bodenständige Annäherung an das
Ritual der Nahrungsaufnahme und zugleich eine feinsinnige Auseinandersetzung
mit dem Ornament.
Andere
Arbeiten beschäftigen sich mit den Nachtseiten des geselligen Miteinanders im
Wohnbereich. Wenn Marcus Jansen ein
Fenster mit Ziegelsteinen zumauert,
oder Regula Zink eine Wandzeichnung präsentiert, auf der in
altertümlicher Schönschrift die Worte "Ruhig Blut" zu lesen sind,
dann ruft dies Gefühle von Beklemmung und klaustrophobischer Enge wach.
Anstelle einer wohltemperierten Behaglichkeit des Wohnens erzählen diese
Inszenierungen von den rigiden Normen und Zwängen, die dem "schönen
Schein" bürgerlicher Wohnkultur
unterlegt sind. Ironisch gebrochen oder ins Absurde gesteigert gilt dies auch
für die Teppichcollage aus billiger Auslegware von Cordula Sauer, die bei
genauerer Betrachtung ein Paar beim Sex zeigt oder für Thorsten Ebelings als
Störungsklopfer aufgehängten Besen.
Bereits
Sigmund Freud wusste, dass das "Heimelige" und das Unheimliche oft
ganz nah beieinander liegen. In seiner 1919 erschienenen Studie "Das
Unheimliche" beschreibt Freud selbiges als "nichts wirklich Neues
oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm
nur durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist." Auf das
Baruther "Wohnzimmer" trifft dieses Umschlagen vom Heimeligen ins
Unheimliche in höchstem Maße zu. Gerade der Kunstcharakter der ausgestellten
Gegenstände beinhaltet eine Distanzierung des Blicks und sorgt dafür, dass das
Wohnzimmer nicht mehr unmittelbar erlebt
-"bewohnt" - werden kann, sondern in der gedanklichen Reflexion
als Meta-Ort erfahren wird.
Auf
dieser kulturgeschichtlichen Meta-Ebene wäre schließlich auch eine Urne als
Bestandteil der Baruther Wohnzimmer-Ausstellung durchaus denkbar gewesen...